Qui tacet, consentire videtur. (Wer schweigt, scheint zuzustimmen.)
Papst Bonifatius VIII, Liber sextus decretalium 5,12,43
Passt doch eh alles, oder? Es ist alles drin, was hinein gehört, und damit passt es. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass die Vollständigkeit allein nicht reicht, sondern auch die Ordnung wichtig ist. Natürlich meint das Sprichwort, dass Reden Silber und Schweigen Gold ist. Und auch dem kann ich nicht zustimmen, wie das andere Zitat schon andeutet.
Ich möchte über das Schweigen sprechen.
Schweigen ist nicht die Abwesenheit oder das Gegenteil von Reden. Es ist vielmehr ein bewusster Kommunikationsakt. Wenn es mir die Sprache verschlägt, dann höre ich damit nicht auf zu kommunizieren, sondern ich verändere meine Art der Kommunikation nur. Wie etwa beim Streiten, wenn einer (sic!) die andere mit Schweigen versucht zu bestrafen. Oder bei einer sog. „Schweigeminute“, wo ich den Opfern z.B. der NS-Zeit gedenke und bewusst schweige. Schließlich schweige ich, um mich besser konzentrieren zu können, z.B. auf die Vorstellung im Theater oder im Kino oder bei einem Vortrag.
Ich möchte das Schweigen ansprechen.
Wer kennt das nicht: In einer Runde oder Versammlung steht plötzlich eine Meinung im Raum, die man nicht vertreten kann. Statt Widerspruch zu äußern, bleibt man still sitzen und hofft, dass ein anderer den Mut aufbringt. Wenn das einmal geschehen ist, nimmt man wieder aktiv teil. Dieses Phänomen nennt die Psychologie „Isolationsfurcht“, also die Angst, sozial isoliert zu werden bzw. zu sein. Damit ist die Angst gemeint, bei Meinungsäußerung sozial geachtet bzw. ausgegrenzt zu werden. Andersrum formuliert: Wenn ich schweige, bleibt meine Stellung in der Gruppe stabil. Die Isolationsfurcht lässt sich vor allem bei Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein oder sog. Mitläufern feststellen. Was Schweigen so attraktiv macht, ist die Möglichkeit, es als Zustimmung zu betrachten. Damit kaschiert der Mitläufer seine inaktive Rolle.
Ich möchte das Schweigen brechen.
Wie so oft haben die Überlegungen, die zu diesem Vorwort geführt haben, einen konkreten Anlass bzw. in diesem Fall sich perpetuierende Anlässe. Wie kann ich Menschen motivieren, aufzutreten statt in Deckung zu gehen? Wie kann ich Menschen dabei unterstützen, nach außen zu gehen, statt in dem immer gleichen Fahrwasser dahin zu tümpeln? Und schließlich: Welche Art von Bewusstseinsstörung steckt dahinter? Ist es das Selbstbewusstsein oder ist es das soziale Bewusstsein (Mitläufer)? Oder hat es Bonifatius zu vorsichtig formuliert, wenn er davon schreibt, dass Schweigen Zustimmung zu sein scheint. Vielleicht ist es nicht nur Schein! Daran aber mag ich erst gar nicht zu denken…
Herzlichst,
Ihr Pfr. Rudolf Waron