Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Jesaja 40,8
Es liegt wohl in der der Natur der Dinge, wenn wir Menschen uns im Herbst auch unserer eigenen Vergänglichkeit stärker bewusst werden. Wenn die Blätter fallen und die letzten Blüten verwelken, dann fragen auch wir uns, was sein wird, wenn wir verwelkt sind. Und gleichzeitig drängt sich Protest in diese Frage: Gibt es denn gar nichts Bleibendes auf der Welt?
Wer die Nachrichten der letzten Tage verfolgt hat, dem sind vielleicht ein paar Dinge aufgefallen, die scheinbar unvergänglich sind. Da sind zum einen die Plastiksackerl, die nichts von ihrem Glanz verlieren, wenn wir schon längst selbst den Würmern nicht mehr als Nahrung dienen. Und da ist die Symbolik vergangener Tage, die offenbar unausrottbar ist, auch wenn die Tradenten noch so bedauern, von selbiger nichts zu wissen. Grund genug, ein bisschen Nachhilfe zu erteilen, denn Blume ist nicht gleich Blume.
Wenn Sie einen Kaktus verschenken, sollten Sie sich im Klaren darüber sein, dass die Beziehung zum Beschenkten etwas „kratziger“ werden könnte – nur für den Fall, dass dies nicht Ihre Intention wäre.
Wenn Sie eine weiße Rose mit rotem Herz und schwarzem Kreuz in der Mitte sehen, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass Sie vor oder in einer evangelischen Kirche stehen – die sog. Lutherrose ist ein schönes Beispiel für die Kraft der Symbolik.
Wenn Sie rote Rosen geschenkt bekommen, freuen Sie sich der Zuneigung des Spenders – auch wenn es eine Firma sein sollte.
Wenn Sie eine blaue Kornblume im Knopfloch sehen, hoffe ich, dass Sie ein Bild längst vergangener Tage betrachten, denn dieses Zeichen der damals und – für die, die es nicht wissen oder vergessen haben – auch heute verbotenen Nazis hat nichts verloren bei Menschen, die um die Sprache der (einheimischen) Blumen wissen sollten.
So hat das Bibelwort auch etwas sehr Tröstliches, wenn es davon spricht, dass jede Blume einmal verwelkt. Am Grab stehend dürfen und müssen wir uns erinnern und uns diese Erinnerung auch zurufen, bei Menschen wie bei Ländern und Institutionen. Vieles im Leben ist wertvoll und unverzichtbar für unser Sein, gerade wenn wir auf das Leben eines geliebten Menschen zurückblicken. Aber manches im Leben bleibt offen, unerlöst und unannehmbar und wenn sehr schlimm ist, braucht es auch „-mäler“ zur Mahnung und zum Denken: Am 9. November gedenken wir der Vernichtung des jüdischen Lebens in Österreich, von dem vielerorts nur noch Denkmäler übrig sind.
Tragen wir alle unseren Teil dazu bei, dass wir die Sprache der Blumen nicht vergessen. Denn oft liegt die Ironie im Detail: Das Symbol der blauen Blume steht in der romantischen Dichtung für die Erkenntnis, die zur Liebe führt. Nicht wissend getragen, gleicht sie einem um die Ohren geschlagenen Strauß von roten Rosen – oder roten Nelken auf einer Nobelkarosse.
Herzlichst,
Ihr Pfr. Rudolf Waron