Enttäuscht?

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Johannes 1,14

Advent. Die Vorbereitung auf Weihnachten ist zu kurz. Vieles muss in diese Zeit hineingepackt werden, vor allem damit es viel zum Auspacken gibt. Wie viele Gedanken und wie viel Stress machen wir uns, damit wir das richtige Geschenk für unsere Lieben finden. Umso größer ist dann die Enttäuschung, wenn es nicht gefällt. Dabei sind für viele Menschen ungefällige Geschenke das kleinere Übel. Die Erwartung an ein schönes, heiles Familienfest wird in vielen Familien mit Streit jäh zerstört. Andere sind schon vorher enttäuscht, weil sie das Familienfest des Jahres von ihren Lieben (für immer) getrennt begehen müssen – feiern ist anders!

Enttäuschte Erwartungen. Nachdem die Kerzen niedergebrannt sind, das elektrische Licht wieder an ist und man plötzlich merkt, es hat sich nichts geändert. Ich habe mich nicht verändert, meine Probleme, meine Sorgen, meine Beziehungen, alles ist beim Alten geblieben ist.

Damals waren auch viele enttäuscht. Das kleine Kind soll der Heiland der Welt sein? Dieser geschundene Mensch der Sohn Gottes? Kein prachtvoller König, der auf einem mächtigen Thron sitzend die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Gott ist anders gekommen: In den Geringsten meiner Mitmenschen ist er gegenwärtig: Die Hungrigen, Armen, Kranken, Gefangenen und Fremden erinnern uns an ihn (Mt. 25). Sie sind Gottes Botschaft an uns. Er, selbst ein Fremder, begegnet uns in den Menschen, die wir demütigen und ausgrenzen.

Gott hebt die Fremdheit auf. Weil er das Fremde, das Befremdliche, das Negative in uns annimmt und überwindet, dürfen wir ermutigt sein zu einer Liebe, die im anderen den Menschen entdeckt, das Kind, die Frau, den Mann, die leben wollen in Würde und Freiheit wie ich selbst. Diese Liebe lässt mich Ja sagen zu mir selbst. Dann brauche ich mich nicht länger selbst täuschen, sondern kann ich von dieser Liebe getragen „ent-täuscht“ leben.

Herzlichst,
Ihr Pfr. Rudolf Waron