#7: Ich bin dann einmal weg!

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

Psalm 139, 9f

Keine Angst, ich bleibe Ihnen schon noch erhalten und mache mich nicht aus dem Staub. Auch stecke ich meinen Kopf nicht in den Sand. Wobei Sand schon dazu gehört für die meisten unserer sommerlichen Sehnsuchtsorte, oder profaner ausgedrückt: Urlaubsziele.

Ein Sandstrand unter Palmen, davor ein tiefblaues Meer. In der Hand ein Drink und in der anderen ein gutes Buch. Oder ist es bei Ihnen doch der Platz vor einer Hütte in den Bergen, abseits aller Betriebsamkeit?

Wo auch immer unsere Urlaubsziele liegen oder erträumt werden, träumen Sie schon vom Urlaub? Oder haben Sie ihn etwa schon hinter sich? Wo waren Sie? Mit wem waren sie dort? Mit welchen Gefühlen sind Sie hingefahren und mit welchen Gefühlen sind Sie zurückgekommen – heim, in Ihren Alltag? Oder bleibt Ihre Traumdestination auch einer, also ein Traum? Gibt es ihn überhaupt „in echt“? Oder ist er auf keiner Landkarte zu finden, wie der Ort, an dem man mit einem Pferd auf der Veranda frühstücken kann? Der Wohnort von Pippi Langstrumpf, die Villa Kunterbunt ist wohl für viele Generationen ein solches Traumziel. Ein Sehnsuchtsort.

Können wir uns solche Sehnsuchtsorte überhaupt leisten? Oder gilt für viele von uns heute, was Dietrich Bonhoeffer über die Sehnsucht aus dem Gefängnis an seinen Freund Eberhard Bethge schreibt: „Manche Menschen sind in ihrem Leben von früh auf schon so durcheinander geschüttelt worden, dass sie sich eine große Sehnsucht sozusagen gar nicht mehr leisten, sie haben sich abgewöhnt, den inneren «Spannungsbogen» über lange Zeiten hinaus auszudehnen und schaffen sich kurzfristigere und leichter zu befriedigende Freuden als Ersatz.“ (Brief an Eberhard Bethge vom 18.12.1943, DBW 8, S. 242f.)

Haben wir die große Sehnsucht schon ersetzt? Haben wir sie uns abgewöhnt?

Die Sehnsucht, dass wir Menschen in Frieden in dieser Welt leben können – ist sie durch ein paar Wochen in einem Ferienparadies abgelöst worden?

Die Sehnsucht nach authentischer Begegnung, dauerhafter Beziehung und echter Freundschaft – ist sie in Events und Festival-Highlights zu einem Abziehbild ihrer selbst geworden?

Die Sehnsucht, sich selbst zu finden – geht sie auf den Weltmeeren in Weltreisen unter?

Die Sehnsucht, einen Sinn im Leben zu finden – geht sich das in immer ausgefalleneren Wochenendtrips noch aus?

Oder sollten wir lieber gleich zuhause bleiben? Ein philosophisches bzw. theologisches Zitat hat in Zeiten der Corona-Pandemie immer wieder die Runde gemacht, im Feuilleton, in den sog. Sozialen Medien. Er stammt vom Mathematiker und Theologen Blaise Pascal:

Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.

Blaise Pascal, Pensées, Art IV 1654

Dabei meint Pascal natürlich nicht Corona oder andere Seuchen, die es in der Tat im 17. Jh zuhauf gegeben hat. Er meint, dass wir nicht in der Zerstreuung unser Glück finden können. Der Mensch sucht sein Glück in rastloser Beschäftigung aus Angst, sich mit Tod, Elend und Unwissenheit auseinandersetzen zu müssen. Denn wenn wir ruhig in einem Raum sitzen, ahnen wir, dass das Glück nur Fassade ist. Und so stürzen wir uns wieder in rastlose Beschäftigung.

Sein Weg aus der gefühlten Leere? Glaube! Und in der von ihm formulierten Wette hat er ein berühmtes Argument für den Glauben geliefert: Wenn es Gott wirklich geben sollte, gewinnt man alles, wenn es ihn nicht gibt, verliert man nichts. Im Vertrauen auf Gott kann ich mich furchtlos der eigenen Sterblichkeit stellen. Ganz egal wo. Auch am Ende der Welt.

So darf ich wegfahren. Weil ich nicht weg muss von mir und schon gar nicht von Gott. So darf ich ein wenig Kindheitssehnsuchtsorte mit meinen Kindern teilen und vielleicht steche ich einmal auch Kekse auf dem Fußboden aus. Oder war es Lebkuchen? Da muss ich nachlesen, was geschrieben steht. Diesmal bei Astrid Lindgren.

Herzlichst,
Ihr Pfr. Rudolf Waron


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