Du stellst meine Füße auf weiten Raum
Psalm 31, 9b
[Predigt bei meiner Amtseinführung am 22.05.2022, gekürzt]
„Gott, du hast das Land gegeben“ (EG 652) haben wir am Beginn des Gottesdienstes gesungen. Der im Februar verstorbene OKR i.R. Michael Meyer hat 2018 über sein Motiv für das Lied geschrieben: „Wichtig war mir persönlich, dass auch das durchaus heikle Thema ‚Land, Heimat, Regierung‘ zur Sprache kommt.“
Die heiklen Themen Land, Heimat, Regierung…
Eine Politikerin meinte vor kurzem, dass man sich die österreichische Staatsbürgerschaft verdienen müsse. Wie wäre es, wenn wir uns entgegen der Meinung einzelner eine Staatsbürgerschaft nicht verdienen müssten? Wir könnten Sie auch gewinnen, in einer Art Lotterie. Dann würde viel von dem Glück sichtbar werden, das viele von uns hatten, hier geboren worden zu sein.
Heimat und Lebensraum. Das sind und waren für Menschen in diesem Land Begriffe, die zu oft nichts miteinander zu tun hatten, ganz im Gegenteil!
Du stellst meine Füße auf weiten Raum, vertraut der Beter von Psalm 31 in Vers 9 auf Gott.
Andere Passagen des Psalms lesen sich dagegen ganz anders. Da erleidet jemand allerlei Bedrängnisse, kann sich kaum rühren und scheint niemanden mehr zu haben, der es mit auszuhalten scheint. Selbst Freunde und Nachbarn meiden seine Nähe. Er vergleicht sich mit einem zerbrochenen Gefäß. Von Gott erwartet er sich Rettung:
HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit!
Psalm 31, 2
Wenn vom hohen Gut der Staatsbürgerschaft gesprochen wird, von wohl erworbenen Rechten, dann sollten wir auch von Gerechtigkeit reden, auch deshalb, damit niemand Angst haben muss, dass irgendetwas vermeintlich vorschnell entwertet wird. Reden wir über Räume und über unsere Perspektiven auf diese Räume in unserer bürgerlichen Gesellschaft
„Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.‘“
Jean-Jacques Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit (Ed. Meier). UTB, 2008, S. 173; (orig. 1755)
Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Da geht es nicht um „Mein“ und „Dein“, diese bürgerlichen Kategorien. Meine Füße, aber nicht mein Raum. Auch nicht dein Raum. Einfach nur Raum. Weiter Raum.
Lassen sie mich davon träumen, dass es diesen Raum gibt, für jeden Menschen in diesem Land, in dieser Stadt.
„Gott, du hast das Land gegeben“: Wir dürfen nehmen. Und Nehmen bedeutet nicht, dass wir uns beliebig bedienen dürfen, schon gar nicht, anderen etwas wegnehmen. Nicht den Menschen um uns, sondern auch nicht den Menschen nach uns. Aber wir dürfen Raum haben, sogar einen weiten. Nicht nur ein kleines Platzerl abseits.
Träumen sagte ich. Und Träume zu haben, Fantasie zu entwickeln, das sind großartige Eigenschaften, die wir Menschen haben. Und auch in der Gesellschaft und in Institutionen sind immer wieder Visionen entwickelt worden. Auch wir in dieser Pfarrgemeinde haben ein Leitbild entwickelt – schon vor meiner Zeit hier:
Sinnsuchenden wollen wir Raum geben für Dialog über Gott und die Welt.
Leitbild der evangelischen Pfarrgemeinde Salzburg-Matthäuskirche
Und erläuternd heißt es weiter: „Aus der Überzeugung, dass Jesus Christus uns als evangelische Christen den Weg weist, stellen wir uns den gesellschaftlichen Herausforderungen. Unsere Gemeinschaft in der Matthäuskirche soll offen sein für all unsere Mitmenschen.“
Und so komme ich an den Anfang zurück – zu den heiklen Themen Heimat, Land und Regierung.
Heimat als Lebensraum ist wertvoll. In Verbindung mit Stolz wird sie meistens problematisch. Ich kann nicht auf etwas stolz sein, wofür ich nichts getan habe. Aber ich respektiere, was Menschen in diesem Land und dieser Stadt geschaffen haben, was Menschen in dieser Kirche und dieser Gemeinde aufgebaut und weiterentwickelt haben. Ich bin dankbar für Menschen, die dabei Unterstützung und Hilfe waren, die die Pfähle alter Gegnerschaften ausgerissen haben und durch Vergebung und Verzeihen Gräben zugeschüttet haben und damit den Raum für ein gelingendes Miteinander geöffnet haben.
Eine Richtung geben, das meint Regieren. Räume sind nicht richtungslos, darauf verweist auch unser Leitbild: Weil Christus den Weg weist, stellen wir uns den Herausforderungen. Dazu bin ich bereit und freue mich über Menschen, mit denen ich das gemeinsam tun kann in Presbyterium und Gemeindevertretung, über Kolleginnen und Kollegen, Menschen, die ich noch gar nicht kenne. Und ich vertraue darauf, dass Gott meine und ihre Füße auf weiten Raum stellt, gerade dann, wenn uns alles zu eng wird, zu knapp, zu teuer, zu illusorisch. So schließe ich mit einem Vers aus dem Ende des Psalms.
Gelobt sei der HERR; denn er hat seine wunderbare Güte mir erwiesen in einer festen Stadt.
Psalm 31, 22
Herzlichst,
Ihr Pfr. Rudolf Waron