#3: Der Russe und ich (II)

Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.

Matthäus 5,44

Vor acht Jahren habe ich zu diesem Vers schon einmal einen Text geschrieben: Der Russe und ich. Darin bin ich meinem Gefühl aus der Zeit des Kalten Krieges nachgegangen: Dem Russen auf der einen (schlechten) Seite und dem Westen auf der anderen (guten) Seite. Und habe mein Verständnis geäußert für das Gefühl Russlands, sich bedroht zu fühlen. Ich lasse den Text stehen, natürlich. Aber ich darf heute eine andere Perspektive einnehmen.

Nicht, dass ich das Gegenteil behaupten würde. Nein! Aber was „Bedrohung“ bedeutet, beurteile ich anders. Gleichzeitig möchte ich nicht in den Chor derer einstimmen, die 100 Milliarden Euro für die militärische Aufrüstung Deutschlands gut finden. Übrigens ist das Gegenteil, das Kaputtsparen des Heeres, auch nicht der richtige Weg.

Der Osten = schlecht, der Westen = gut, das sind mir zu einfache Gleichungen. Vor allem, wenn es um Machteinflussbereiche geht.

Woran ich aber festhalte, ist die Feststellung von damals, die mir in diesen Tagen noch bedeutsamer erscheint: Wenn Jesus davon spricht, dass wir unsere Feinde lieben, so hat es vielleicht auch damit zu tun hat, dass wir zuerst uns selbst aus dieser Liebe heraus entfeinden müssen, indem wir eben auch unsere Bilder vom Feind überdenken.

Und so denke ich an die vielen Menschen in Russland, die sich gegen diesen Krieg stellen, die ihre Sicherheit aufs Spiel setzen und weitaus mehr riskieren als wir hier in der westlichen Freiheit.

Ihnen gelten meine Gebete ebenso wie der ukrainischen Bevölkerung. Und auf sie will ich auch schauen, wenn in mir wieder das Bild des (bösen) Russen aufsteigt.

Herzlichst,
Ihr Pfr. Rudolf Waron